Der öffentliche Dienst und das Mysterium des Fachkräftemangels
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Der öffentliche Dienst und das Mysterium des Fachkräftemangels

Manchmal stößt man auf Erlebnisse, die einen innehalten lassen und die ganz großen Fragen des Landes neu sortieren.

Zum Beispiel jene, ob Deutschland tatsächlich unter einem dramatischen Fachkräftemangel leidet – oder ob dieser Notstand im öffentlichen Dienst vielleicht mit derselben Zuverlässigkeit auftritt wie Pünktlichkeit bei der Deutschen Bahn: theoretisch vorhanden, praktisch schwer zu beobachten.

So erhielt ich neulich eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch im öffentlichen Dienst.

Ein Glücksmoment, könnte man meinen.

Man gehört zur engeren Auswahl, es scheint sich also gelohnt zu haben, jahrelang Erfahrung, Expertise und Führungsverantwortung gesammelt zu haben.

Dann jedoch folgt die eigentliche Pointe:

„Das Gespräch findet am [Datum] um [Uhrzeit] statt.

Eine Terminverschiebung ist nicht möglich.“

Ein einzelner Termin.

Fix wie der Glockenschlag beim Zapfenstreich.

Unverrückbar wie eine Verwaltungsrichtlinie aus dem Jahr 1978.

Man könnte meinen, es handle sich um ein Treffen mit einem Staatsoberhaupt – nicht um ein Vorstellungsgespräch für eine Führungsposition, bei der ein Mindestmaß an Flexibilität zu den Grundkompetenzen gehören sollte.

Doch Flexibilität scheint hier ausschließlich vom Bewerber verlangt zu werden.

Vom System selbst hingegen eher nicht.

Nun ist es so: Bewerber für Führungspositionen haben oft das unverschämte Problem, bereits berufstätig zu sein.

Sie verfügen über eigene Termine, Verantwortlichkeiten, Mitarbeiter, Projekte – all die kleinen Dinge, die man gemeinhin in einer professionellen Umgebung erwartet.

Aber im öffentlichen Dienst scheint man eine andere Erwartungshaltung zu pflegen:

Die idealen Kandidaten sind offenbar hochqualifiziert, erfahren, belastbar, reflektiert, führungskompetent –

und gleichzeitig jederzeit verfügbar, als würden sie im Wartezimmer sitzen und auf genau diesen einen Termin hoffen.

Als sich herausstellte, dass ich zum vorgeschriebenen Zeitpunkt verhindert war, erwartete ich naiverweise eine Möglichkeit zur Abstimmung.

Immerhin suchen sie jemanden für eine anspruchsvolle Position.

Man könnte also annehmen, man wolle diesen Jemand auch tatsächlich kennenlernen.

Stattdessen lautete die Antwort:

„Dann beenden wir den Bewerbungsprozess hiermit.“

Eine Entscheidung, die erstaunlich effizient, aber zugleich erstaunlich unlogisch ist.

Wenn der Personalmangel so groß wäre, wie es die Berichte suggerieren, würde man vermuten, dass man um passende Kandidaten zumindest einen minimalen Bogen der Flexibilität schlägt.

Doch offenbar herrscht im öffentlichen Dienst kein Mangel.

Im Gegenteil:

Man scheint dort in einer derart luxuriösen Situation zu sein, dass fähige Bewerber, die zum Ein-Termin-Lotto nicht erscheinen können, einfach aus dem Rennen genommen werden.

Vielleicht ist das ja das Geheimnis hinter dem viel beschworenen „War for Talents“:

Der öffentliche Dienst führt ihn nicht, er verzichtet einfach auf die Teilnahme.

Während andere Arbeitgeber um Bewerber werben, sie umwerben, sie menschlich behandeln und sie motivieren wollen, setzt der öffentliche Dienst auf ein altbewährtes Prinzip:

„Wer nicht spurt, verliert.“

Und wer spurt, gewinnt am Ende vielleicht… ein Formular.

So bleibt nach dieser kleinen Erfahrung eine Erkenntnis:

Vielleicht gibt es in Deutschland doch keinen flächendeckenden Fachkräftemangel.

Vielleicht haben wir nur ein strukturelles Missverständnis darüber, wen man eigentlich gewinnen möchte –

und welchen Aufwand man bereit ist, dafür zu betreiben.

Denn wer ernsthaft Personal sucht, plant Alternativen ein.

Wer stattdessen Terminrigidität über Qualifikation stellt, scheint sich seiner Bewerberbasis erstaunlich sicher zu sein.

Oder, um es etwas pointierter zu formulieren:

Wenn so der Fachkräftemangel bekämpft wird, braucht man sich keine Sorgen zu machen –

er wird uns noch lange erhalten bleiben.